Mit den Bummelzug zur Selbsterkenntnis

Rezension zu Pascal Merciers „Nachtzug nach Lissabon“

Inhalt

Raimund Gregorius ist Lehrer für die Sprachen des Altertums. Aufgrund seines Wissens wird der sehr korrekte Lehrer Mundus genannt. Eines Morgens trifft er auf dem Weg zur Arbeit auf eine Portugiesin. Die Begegnung ändert etwas in Mundus, er bekommt das Gefühl, in seinem Leben fehle etwas. Er verlässt mitten im Unterricht das Klassenzimmer und begibt sich in eine Buchhandlung. Dort kauft er ein Buch des portugiesischen Arztes Amadeu de Prado und beginnt dieses für sich zu übersetzen. Die Sätze Prados enthalten eine Weisheit, die in Gregorius den Wunsch reifen lassen, diesen kennen zu lernen. Er reist mit dem Nachtzug nach Lissabon und begibt sich auf die Suche nach Prado. Schnell erfährt er, dass Prado vor knapp 30 Jahren verstorben ist und das Buch posthum von seiner Schwester herausgegeben wurde. Für Gregorius ist dies kein Grund aufzugeben, er beschließt herauszufinden, was Prado für ein Mensch war und nimmt Kontakt mit dessen Familie und Freunden auf. Während der Nachforschungen erfährt Gregorius viel über Prado. Je mehr er den Arzt versteht, desto mehr beginnt Gregorius mit seinem bisherigen Leben abzurechnen.

Rezension

Am „Nachtzug nach Lissabon“ scheiden sich die Geister der Kritiker. Dies ist mehr als verständlich, da Pascal Mercier ein Buch voller Widersprüche geschrieben hat. Der größte Widerspruch ist wohl der zwischen Form und Inhalt. Das Buch quillt gerade zu über von Lebensweisheit und intelligenten, wenn auch teilweise etwas abgehobenen, Gedankengängen. Als Leser hat man das Gefühl, dass Mercier einem etwas mitteilen will, die Selbsterkenntnisreise Gregorius‘ könnte auch zur Selbsterkenntnisreise des Lesenden werden.

Im Gegensatz zu dieser Weisheit steht die Form, ein Roman. Das Anliegen des Buches scheint irgendwo zwischen Wissenschaft und Ratgeber angesiedelt zu sein und dennoch schreibt Mercier Belletristik. Eine Entscheidung, die sich leider nicht immer als glücklich erweist. Ab und zu hat man das Gefühl Mercier würde einem hochintelligenten Gedankengang folgen, führt diesen aus, hat aber vergessen, dass sich um die Weisheiten Prados noch die Geschichte von Gregorius rankt. Wenn es ihm dann doch einfällt, benötigt es Sätze über neun Zeilen hinweg, um Mundus die Gedanken verarbeiten zu lassen. Manchmal ist weniger mehr.

Ein weiterer Gegensatz sind die Charakterisierungen Merciers. Gregorius wird in aller Breite als hochgebildeter, aber etwas steifer, Beamter charakterisiert. Man hat das Gefühl ihn zu kennen, aber auf einmal trifft er eine Entscheidung, die schwer bis nicht nachzuvollziehen ist.

Die Nebenfiguren schwanken zwischen Person und Funktionen. Bei Wenigen hat man das Gefühl, sie seien eigenständige Figuren. Die meisten scheinen nur die Funktion zu haben Amadeu de Prado himmelhoch jauchzend zu loben.

Prado selbst ist, gelinde gesagt, einseitig charakterisiert. Hochintelligent, charmant, gutaussehend. Ein Genie, das schon zu Schulzeiten alle überragte. Gregorius liest Texte aus verschiedenen Abschnitten von Prados Leben. Alle sind auf einem sehr hohen sprachlichen Niveau. Der 17jährige Schüler Prado ist genauso so eloquent wie der dreißigjährige Arzt. Auch scheint sich Prado im Laufe des Lebens nicht verändert zu haben. Lediglich die letzen Jahre vor seinem Tod scheint ein Wandel zu erkennen zu sein. Der Grund: Eine Frau. Studium und die berufliche Arbeit als Arzt scheinen Prados Sichtweise der Welt nicht beeinflusst zu haben. So scheint es, Prado ist mehr ein Behältnis für eine Botschaft als eine Person.

Was bleibt zum Roman zu sagen? Es gibt spannende Passagen in denen man das Buch nicht weglegen möchte; es gibt aber auch Passagen in denen man sich von Satz zu Satz quält und sich fragt, wann Mercier denn endlich mal zum Punkt kommt. Ein Buch voller Widersprüche halt, ein Buch voller Ungewissheit. Zu dieser Ungewissheit passt auch der offene Schluss. Wie der Leser, der nicht weiß was er mit den vielen Gedanken anfangen soll, scheint auch Gregorius diese noch nicht verarbeitet zu haben.

Fazit

Ein Buch voller Widersprüche. Ein Buch voller Licht und Schatten. Im Gesamtbild weder Genial noch Schlecht. Trotz aller Widersprüche hat mich die Geschichte Gregorius‘ interessiert, weshalb das Pendel leicht in Richtung Gut ausschlägt. NICHT ÜBEL + (2,7).

Bibliographische Daten

Pascal Mercier: Nachtzug nach Lissabon.
Btb, 2006,496 Seiten, Taschenbuch.
ISBN: 978-3442734368

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1 Antwort zu “Mit den Bummelzug zur Selbsterkenntnis”

9 03 2008
Nachtzug: Pascal Mercier liest in Heppenheim - Das deutschsprachige Portugal Forum - Porto, Lissabon, Algarve (09:40:30) :

[...] AW: Nachtzug: Pascal Mercier liest in Heppenheim hier eine Rezension: Die Empfehlungen » Mit den Bummelzug zur Selbsterkenntnis [...]




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